Ein Abriss über die Entwicklung vom japanischen Ju-jutsu zum Judo.
Die Kunst, sich durch Schnelligkeit, List und Technik, gegen einen stärkeren Gegner zu verteidigen besteht wohl, seitdem es Menschen gibt. Die ältesten Aufzeichnungen dieser Art, sich für einen solchen Kampf zu rüsten, fand man in den alten ägyptischen Königsgräbern. Ebenso reichen in China und Japan die Berichte bis ins mythologische Zeitalter zurück, die solcherart Zweikämpfe behandeln.
In den folgenden Jahrhunderten entwickelten sich unterschiedliche Systeme, um einen Gegner kampfunfähig zu machen oder gar zu töten. Anhand der geschichtlichen Entwicklung kommt man zu dem Schluss, dass China als das Ursprungsland des Ju Jutsu gelten kann. Es steht ebenfalls fest, dass die Weiterentwicklung bis zum heutigen technischen Niveau, ausschließlich den japanischen Bemühungen zu verdanken ist. Hervorzuheben sind im Verlauf der Entwicklung der Selbstverteidigung verschiedene japanische Schulen – z.B.:
- Yoshiu-ryu durch Akyjama Shirobei Yoshitoki.
Seine Schüler eröffneten viele Schulen in anderen Distrikten und bezeichneten jedoch ihre Techniken und System mit anderen Namen. Andere, bekannte Schulen waren :
- Tenchin Shinyo-ryu
- Ryoichinto-ryu
- Takenouchi-ryu
- Kiraku-ryu
- Shinno shindo-ryu
- Arato-ryu
- u.v.a.
Die bekanntesten Systeme dieser Zeit waren neben Ju jutsu: Jaware, Kuguseku, Kempo, Kumiuchi, Tai jitsu.
Durch die erzwungene, wirtschaftliche Öffnung Japans durch die Amerikaner um ca. 1850,erlosch das Interesse der Japaner an ihrer alten , traditionellen Sportart und sie geriet fast in Vergessenheit. Erst durch den angesehenen deutschen Hochschuldozenten Dr. Baelz, der selbst beim 70 jährigen Meister Totsuka Unterricht im Ju jutsu nahm, um als Vorbild für seine Studenten zu gelten und sie zu körperlicher Aktivität anzuregen. Seine Studenten, die ihn sehr verehrten, bemühten sich nun selbst in dieser Sportart und das Ju jutsu erlebte eine neue Blühte. Einer seiner Studenten zeigte eine außergewöhnliche Begabung und Interesse für diese Sportart. Es war der spätere Begründer des Judo, Jigoro Kano, 1860 – 1938. Er studierte und praktizierte in den folgenden Jahren fast alle existierenden Systeme der SV und musste feststellen, dass fast allen Systemen eine Seele fehlte. Die Griffe wurden rein mechanisch geübt; es konnte folglich kein Funke überspringen, um die große Masse der Bevölkerung für diese Sportart begeistern zu können.
J. Kano hatte es sich zur Aufgabe gemacht, diese Art der SV als allgemeine Sportbewegung zu etablieren. Man muss wissen, J. Kano war mit den Jahren Pädagoge, Leibeserzieher und Bildungspolitiker . Als Direktor der Höheren Lehrerbildungsanstalt in Tokyo und erstes asiatisches Mitglied des Olympischen Komitees und als Mitbegründer und Präsident der Großjapanischen Gesellschaft für Leibeserziehung, hatte er genügend Einfluss, seine Ideen zu verwirklichen. J. Kano suchte einen Weg, diese altjapanische Sportart zu einem Volkssport zu machen. Aus diesem Grunde gründete er um 1882 den Kodokan, die Wiege des Judosportes.
In der Zusammenführung der einzelnen SV-Stielrichtungen verwarf Kano die gefährlichen Griffe und Tritte und schuf somit ein neues System des Zweikampfes und nannte es Judo. Mit dem System Judo verband er nicht nur die sportliche Seite, sondern legte auch Schwerpunkte auf die moralischen, sittlichen und erzieherischen Werte. Sein System unterteilte J. Kano in Stand- und Bodentechniken, welches in unterschiedliche Schwierigkeitsstufen vom Anfänger bis zum Fortgeschrittenen gegliedert war.
Als J.Kano jedoch die große Kraftanstrengung seiner Schüler bei den Haltetechniken, Würgetechniken und Hebeln sah, verwarf J. Kano den ersten Gedanken, sein System „Weg der Sanftheit“ zu benennen. Kano nannte es fortan: „das Prinzip der effektiven Nutzung der Energie und dem wechselseitigem Gedeihen„.
Kano unterschied anfangs „Judo im engerem Sinne“ und „Judo im weiteren Sinne„.
Unter „Judo im engeren Sinne“ verband Kano nicht nur die verschiedenen Formen des Ju-jutsu, sondern alle Formen der Kampfkünste. Andererseits betrachtete Kano „Judo im weiteren Sinne“ als ein Prinzip, dass sich auf alle menschlichen Bereiche anwenden ließe. Der Schwerpunkt dieser Aussage verbindet „Judo“ mit dem Anspruch auf körperliche, sittliche und moralische Schulung.
Judo in Europa:
Um ca. 1920 wurde Judo durch Instructoren sowie durch Demonstrationen einiger Japanischer Marinesoldaten, die in Kiel zu Besuch waren, auch in Deutschland bekannt.
Für diese neue Sportart interessierte sich besonders Erich Rahn aus Berlin und gründete im nachhinein die erste Deutsche Jiu-Jitsu- (Ju-Jutsu)-Schule; – durch die englische Übersetzung erhielt das u einen i-Anlaut und wurde somit als Jiu weitergegeben.
Bei der Betrachtung der alten Bilder jener Zeit stellen wir fest, dass es sich bei dieser Sportart immer noch um Ju-jutsu handelte; zwar abgeschwächt, aber immerhin. Erst nach 1950 – bis dahin war die Sportart in Deutschland verboten – verbreitete sich Judo in Deutschland, so wie wir es heute kennen. Im europäischen Ausland hatte sich die Wandlung vom Ju-jutsu zum Kampfjudo bereits vollzogen.
Um sich als eigenständige Sportart zu etablieren, löste man sich nach langen, schwierigen Verhandlungen vom Schwerathletik-Verband und gründete das Deutsche Dan-Kollegium zwecks Verbreitung dieser neuen Sportart. Zwei Jahre später wurde vom DDK der „Deutsche Judo-Bund“ gegründet mit getrennten Aufgabengebieten. Das DDK war zuständig für die Danträger, Ausbildung der Lehrer, Verbreitung und Lehre des Judogedankens und Prüfungen.
Der DJB war zuständig für das Kampfgeschehen – für nationale und internationale Turniere und Meisterschaften.
Judo in der heutigen Zeit :
Auch in der heutigen Zeit kennen wir unterschiedliche Lehrsysteme. Wir unterscheiden nach :
- System Kodokan – DDK
- Modifiziertes Kodokan System – DJB
- System Kawaishi – Frankreich
- System Geesink – NL
- System P. Hermann – Australien
- System Tokyo Hirano ( M. Ohgo )
Diese Systeme vermitteln dem Anfänger die Wurftechniken in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen und führen durch unterschiedliche Bewegungsabläufe zum geschmeidigen Wurfansatz.
Was können wir aus dem Gesagten für uns ableiten?
Judo für Kinder – die ideale Ausprägung der Bewegungsabläufe. Schulung der Reflexe, der Reaktion; Beweglichkeit, körperliche Ausbildung der Kraft und Ausdauer, vielseitige Techniken; sich messen mit gleichaltrigen, dadurch Ausprägung des Selbstwertes. Die moralische und ethische Schulung im Rahmen der Regelbeherrschung und im Umgang mit dem Partner. Bestätigung seiner Leistungskraft mittels Turniere und Meisterschaften.
Zusammengefasst entwickelt JUDO die:
- Fähigkeit, sich gewandt und geschickt zu bewegen
- Fähigkeit, die eigene Bewegung auf die eines anderen abzustimmen
- Fähigkeit, sich bei Stürzen im Sport und Alltag vor Verletzungen zu bewahren
- Fähigkeit und Bereitschaft, sich selbst und andere im Notfall zu verteidigen
- Fähigkeit, beherrscht, konzentriert und reaktionsschnell zu handeln.
JUDO als Kampfsport ist geeignet, das Bewegungsbedürfnis zu befriedigen, zugleich aber auch durch die Vielfalt der Wurf- und Grifftechniken dem Sicherheitsbedürfnis Rechnung zu tragen und bei allen Angriffs- und Verteidigungsaktionen die Verantwortung für den Partner und Gegner zu entwickeln. Der dauernde Bezug zu Partnern, das damit verbundene Rollenspiel, führt zu ständig wechselnden Beziehungen und Verständigungsvorgängen.
JUDO sollte es sich – besonders in der Schule – zur Aufgabe machen über den Faktor der technischen Kenntnisse hinaus, durch Kampf- und Trainingsübungen den Übenden die eigenen Grenzen und Möglichkeiten erkennen zu lassen und seinen Charakter ausgeglichen zu entwickeln. JUDO eignet sich als Methode zur Formung der Persönlichkeit so hervorragend, dass dieses System in den Schulen als Methode für die Erziehung und Bildung angewandt werden kann.
Rolf Wegener – Volker Weigand
Quellenangabe : A. Niehaus: “ Leben und Werk Kano Jigoro „, Verlag Ergon ISBN Nr. 3-89913-310-2